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Wenn Michael Kuhlmann in die Tasten greift

In diesem Beitrag geht es um zwei sehr unterschiedliche Dinge, die eines gemeinsam haben: Beide werden mit einer Tastatur bedient bzw. gesteuert

Foto: Das Gesicht von Michael Kuhlmann ganz nah mit Kopfhörer mit einem virtuellen Videokonferenzhintergrund (ein Wohnzimmer mit hellen Fenstern, Tisch, Stühle, große Lautsprecherbox)

Foto: Das Gesicht von Michael Kuhlmann ganz nah mit Kopfhörer mit einem virtuellen Videokonferenzhintergrund (ein Wohnzimmer mit hellen Fenstern, Tisch, Stühle, große Lautsprecherbox)

Was haben Kirchenmusik, Orgel und das Videokonferenzsystem BigBlueButton miteinander zu tun? Ein Gespräch mit Michael Kuhlmann:

Weitere Informationen zu BLINDzeln: http://www.blindzeln.org/

 

Transkript

Wir bewegen uns heute im Spannungsfeld zweier sehr unterschiedlicher Dinge, die eines gemeinsam haben: Beide werden mit einer Tastatur bedient bzw. gesteuert.

Ich begrüße dazu Michael Kuhlmann in Hannover.

Er hat mich in einen Big Blue Button Videoraum eingeladen, und so sind wir miteinander verbunden.

Hallo Michael!
Hallo Jörg!
Schönen guten Morgen!

Bei uns scheint hier schön die Sonne ins Fenster rein.
Du kannst das, glaube ich, nicht so sehen. Bevor wir das Rätsel lösen, worüber wir heute sprechen wollen, erzähl doch mal etwas mehr von dir selbst.

Ja, du hast ganz recht, ich kann das in der Tat nicht sehen, wobei hell und dunkel krieg ich noch mit. Ich schaue einmal Richtung Fenster, und da scheint in der Tat schönes Tageslicht zum Fenster rein, aber Sonne nehme ich jetzt im Moment nicht wahr.
Damit sind wir ja schon beim Thema. Ich bin blind und zwar geburtsblind, lebe und arbeite hier in Hannover.

Da können wir gleich zu unserem Rätsel kommen: Was machst du denn da in Hannover?

Diverses, soviel gleich vorweg. Ich habe irgendwann in den 90er Jahren mal Kirchenmusik studiert, hier in Hannover an der Musikhochschule, dann während meines Studiums eine Arbeitsstelle bekommen, die ich bis heute ausfülle oder bekleide und bin dort in einer Kirchengemeinde, in der ich eben für die Kirchenmusik zuständig bin, heißt im Gottesdienst Orgel spielen, heißt auch Seniorenarbeit, heißt Chorleiten, wobei, das mache ich nicht in der Gemeinde. Das mache ich woanders, heißt, an einer Förderschule, für Kinder mit emotionalem, sozialem Förderbedarf Musikunterricht geben.

Das klingt nach einer ganzen Menge unterschiedlicher Geschichten.
Ja, damit hast du auch schon den ersten Punkt angesprochen, um den sich unser Gespräch drehen sollte. Tastatur ist da vielleicht nicht der richtige Begriff, ich glaube, da sagt man eher Spieltisch dazu. Wie ist das denn für dich, wenn du Orgel spielst, beziehungsweise wie war das mit deiner Ausbildung, gerade auch im Bezug darauf, dass du nicht sehen kannst?

Also tatsächlich relativ unproblematisch im Nachhinein. Natürlich hat es Barrieren gegeben, die gibt es in jeder Ausbildung. Man braucht sich dann nur vorzustellen, dass natürlich Texte übertragen werden müssen und einfach so Dinge, die man im Studium eben machen muss als Blinder, die Wege oder so was, das sind alles Dinge, die gelernt sein wollen. Aber ich muss doch im Nachhinein sagen, es lief tatsächlich relativ unproblematisch, zumal man ja im Kirchenmusikstudium relativ viel Einzelunterricht hat. Man hat einzeln Orgelunterricht, man hat einzeln Klavierunterricht, man hat in der Gruppe Tonsatzunterricht. Das Einzige, was sich wirklich als schwierig dargestellt hat, war die Chorleitung, weil, ich spreche jetzt mal von mir. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich glaube ähnlich. Was mich betrifft, ich finde es einfach unheimlich schwer mit Gesten Musik auszudrücken, und das muss man ja beim Dirigieren. Natürlich habe ich gezeigt bekommen, wie man dirigiert. Ich habe gezeigt bekommen, wie man die Schlagfiguren ausführt und wie man Dynamik, also Crescendi und Decrescendi dem Chor gegenüber angibt, aber wirklich so richtig, wie das Sehende machen, vor dem Chor zu gestikulieren und mit Gesten, also mit dem ganzen Körper auch wirklich Musik zu machen, das fällt mir sehr schwer. Das hat natürlich mit sich gebracht, das Chorleitung, ich drücke es mal so aus, bestimmt nicht mein bestes Fach ist. Ich leite Chor, und ich habe auch einen Abschluss, aber beim Dirigieren, besonders dem Dirigieren größerer Werke, sind zumindest mir einfach Grenzen gesetzt.

Du hast angesprochen, dass du mit ganz unterschiedlichen Gruppen von Menschen arbeitest, wo sind die Schwerpunkte bei den unterschiedlichen Gruppen? Du hast zum Beispiel Senioren angesprochen.

Na ja, besser ausgedrückt, in der Regel sind es zwei Gruppen oder drei, es sind Senioren, es sind Jugendliche, eben Schüler in dem Fall. Eigentlich sind es noch mehr, es sind vier Gruppen, wenn man den Chor mal mitzählt, und diese haben natürlich alle ihr ganz spezielles Anforderungsprofil, sage ich mal, und sie wollen natürlich alle musikalisch unterstützt und gefördert werden.

Für Menschen, die sehen können, wäre es vielleicht ganz interessant, wenn du ein wenig erzählst, wie du als blinder Mensch mit all den Aufgaben umgehst. Gibt es Dinge, die ein Sehender überhaupt nicht beachten oder worüber er nicht nachdenken müsste, die aber für dich vielleicht zusätzlich erforderlich sind, um deine Aufgaben erfüllen zu können.

Ganz alltägliches Beispiel, für meine Schüler, für meine Schulklassen, die ich in Musik unterrichte, bereite ich Material auf, zum Beispiel ein Lied, also ich greife jetzt mal einfach ein willkürliches Beispiel heraus: Ich hatte vor ein paar Jahren mal eine Klasse - das würde man von Jugendlichen vielleicht gar nicht denken - aber die fanden es total toll, wirklich ältere Lieder zu singen. Sie mochten, das Deed, „mein kleiner grüner Kaktus“, total gerne, das fanden die richtig cool. Und dann habe ich denen natürlich entsprechend die Texte aufbereitet, beziehungsweise, das habe ich, muss ich sagen, nicht selber gemacht, sondern mit Hilfe meiner Arbeitsassistenz. Die Texte müssen natürlich schön sein, da muss man, weil es Förderschüler sind, die Texte unterschiedlich farblich markieren, um den Schülern deutlich zu machen, wer wann singen soll oder wo Strophen und Refrain sind. Also es gibt da Schüler, die haben Lese und Schreibschwächen und denen muss man natürlich so gut wie möglich entgegen kommen, dass sie das Material wirklich auch gut lesen können und sich im Material zu Recht finden. Dazu gehört vielleicht auch mal ein schönes Bild, und das kann ich natürlich nicht selber malen. Dazu brauche ich Hilfe. Dafür habe ich glücklicherweise eine Arbeitsassistenz.

Und wie ist es dazu gekommen, dass du überhaupt Orgelspielen gelernt, studiert hast und in diesen Beruf eingetreten bist?

Ich habe mit sechs oder sieben Jahren - ganz genau weiß ich das nicht mehr - also so im elterlichen Umfeld, sicherlich schon früher, aber richtig angefangen, Klavier zu spielen habe ich in der Grundschule. Und dann war ich zwölf oder dreizehn und schon auf einer weiterführenden Schule. Unsere örtliche Organistin hat mich mal bei einem Klavier-Klassenvorspiel gehört und mich gefragt, ob ich nicht mal Lust hätte, Orgelunterricht zu nehmen.

Und ich habe das dann auch gemacht. Ich habe als Kind, ich sage mal so, wie Kinder das halt machen, eigentlich ganz gerne Klavier gespielt, aber im Großen und Ganzen mein Instrument doch eher geschont. Und dann habe ich Orgel gespielt, und da war es das erste Jahr genauso. Ich fand das ganz schön oder ganz cool, würde man vielleicht heute sagen, aber ich war noch nicht entzündet dafür. Dann habe ich aber das erste Mal einen Gottesdienst vertretungsweise gespielt. Da war ich vierzehn. Das machen ja Orgel-Schüler gerne, wenn die Kantoren mal Urlaub haben oder überhaupt, wir Kantoren setzen das auch ganz bewusst ein, dass wir Orgel-Schüler dann auch in Vertretung Gottesdienste spielen lassen, damit sie eben auch Gottesdienstpraxis bekommen. Und das war bei mir eben mit vierzehn Jahren auch der Fall. Und in diesem Gottesdienst habe ich Feuer gefangen.

Das hat mich so berührt im Herzen und es hat mich so mitgenommen im positiven Sinne, dass dann keine zwei Monate vergangen sind und ich wusste, ich würde später nach dem Abitur mal Kirchenmusik studieren. Und da habe ich angefangen zu üben.

Das ist eine ziemlich interessante Geschichte. Und wie ist es? Kirche hat ja nun auch einen besonderen Hintergrund, was die  Weltanschauung angeht. Teilst Du das? Wie stehst du dazu?

Ja, ich bin Christ. In Studienzeiten durch meine Mitarbeit in der SMD, es ist Studentenmission in Deutschland, Christ geworden. Also ich war vorher auch dem nicht abgeneigt, aber nicht wirklich bewusst und bewusst entschieden. Das hat sich eben im Studium noch mal geändert, insofern teile ich das. Ich meine, ich teile natürlich nicht alles jetzt, was in und um die Kirche an sich passiert und da sind sicherlich in der Vergangenheit - das ist jetzt zwar nicht unser Thema - Sachen passiert, die ich auch kritisch finde. Aber natürlich fühle ich mich dem Evangelium verbunden und durch meine Musik auch berufen, das Evangelium weiterzugeben.

Wenn du das ganz kurz ausdrücken solltest, was wäre für dich das wichtigste Charakteristikum, was einen Christen ausmacht oder was dein Leben als Christ bezeichnen würde?

Für mich persönlich und überhaupt als Christ, da brauchen wir ja nur in die Bibel zu gucken, ist, dass wir es schaffen, unsere Botschaft so rüber zu bringen, dass die Leute begeistert und berührt sind im Herzen, und das gilt für alle Christen im Allgemeinen natürlich und es gilt für mich im Besonderen, wenn ich es schaffe, durch meine Musik - das ist meine Gabe - das rüber und unter die Leute zu bringen. Ich bringe ja jetzt nicht irgendetwas unter die Leute. Das klingt so, als würde ich irgendetwas einfach unter die Leute bringen. Ich mache es ja mit den Leuten zusammen. Musik ist für mich immer eine Sache, die man mit den Leuten, mit denen man zu tun hat, zusammen macht Von einer Win-Win-Situation würde man heute sagen, dass alle Beteiligten was davon haben. Und wenn ich es schaffe, die Leute so zu berühren, dass sie hinterher sagen, boah, war das schön! Das ist ja richtig toll und macht Spaß, dann bin ich auch glücklich.

Gibt es ein Lieblingsstück, ein Musikstück oder zwei, drei, die dir besonders gut gefallen, die du besonders gerne spielst?

Das ist eine schwere Frage, weil gerade, wenn man jetzt die Bach-Orgelwerke nimmt, sind die alle toll. Aber was ich zum Beispiel sehr gerne spiele, ich würde es mal ein bisschen weiter fassen. Es gibt Orgelmusik zwischen Bach und Mendelssohn, das ist auch unter Organisten nicht unbedingt immer bekannt. In Organistenkreisen spielt man halt oftmals die Klassiker, so aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Aber was weniger bekannt ist, dass es eben so zwischen Bach und Mendelssohn - wenn man mal  an Namen denkt wie Kittel, Mütel, Krebs - was wirklich Komponisten aus der Bachschule sind, die ganz
schöne Musik geschrieben haben, und nicht nur wirklich schöne, wertvolle Musik, sondern Musik, die auch für ein nicht an Orgelmusik gewöhntes Publikum gut anzuhören ist. Das würde ich sagen, das ist Musik, die spiele ich sehr gerne.

Mich erinnert das an eine Sache, die ich eigentlich ganz gerne habe. Hin und wieder wird bei uns im Gottesdienst vom Orgelvor- oder Nachspiel, manchmal dazu gesagt, was ist das für ein Komponist, und in welchem Umfeld hat der gelebt, welche Charakteristika waren vielleicht in der damaligen Zeit gegeben? Das finde ich eigentlich auch immer ganz interessant, dass man dadurch relativ unbekannte Menschen kennenlernt und ein wenig diesen Kontext erfahren, vielleicht dann auch die Musik ganz anders einordnen kann.

Das mache ich auch manchmal, je nach dem, je nach Gottesdienst-Umfeld. Es gibt Gottesdienste, da bietet sich das eher nicht an. Aber es gibt auch durchaus Gottesdienste, gerade größere Gottesdienste, da mache ich das auch.

Ich finde das sehr interessant, ich finde, die Orgel ist ein ganz besonderes Instrument, und ich habe vorhin schon versucht zu sagen, Tastatur ist da vielleicht nicht der richtige Begriff dafür. Der Spieltisch besteht ja sozusagen aus mindestens zwei Tastaturen (Manuale) für die Hände, die für die Füße (das Pedal), und dann noch die Register, die zu ziehen sind.

Aber wir wollen noch zu einer anderen Tastatur kommen. Die liegt in der Regel vor einem auf dem Tisch oder ist in ein Gerät wie einen Laptop
eingebaut, und es interessiert uns natürlich jetzt, was machst du mit einer Computertastatur?

Naja, damit arbeite ich täglich, um überhaupt meine ganze Korrespondenz zu erledigen. Auch als Kirchenmusiker sitze ich ja nicht nur an der Orgel, sondern ich arbeite im Team mit den anderen Angestellten der Kirchgemeinde. Um mit denen im normalen Angestellten-Verhältnis kommunizieren zu können, muss ich natürlich mit digitalen Spills vertraut sein, E-Mail, alles was dazugehört, Internet, und das mache ich. Ich mache aber auch privat was, also ich liege in den letzten Zügen meines Tontechnikstudiums, werde hoffentlich bald fertig.

Ja, ich bin ehrenamtlich bei „Blinzeln“ tätig. „Blinzeln“ ist ein deutschlandweit arbeitendes soziales Netzwerk, in dem Blinde und
Sehbehinderte ehrenamtlich für Blinde und Sehbehinderte versuchen, digitale Barrieren abzubauen in Form von verschiedenen, zumeist digitalen Angeboten, die auf die Bedürfnisse Blinder und Sehbehinderter zugeschnitten sind, und mit dem Ziel, diesen Personenkreis zum einen zusammen zu bringen und zum anderen eben niederschwellig zu ermöglichen, an einem digitalen Leben teilhaben zu können.

Nun habe ich dich aber auch so kennengelernt, dass du weit darüber hinaus Skills, so schön Neudeutsch, also Erfahrungen und Fähigkeiten hast, Dinge im Computer, im Informationstechnologischen oder im EDV-Bereich zu bearbeiten. Unter anderem hast du, wenn ich das richtig verstanden habe, eine sogenannte Big Blue Button Instanz aufgebaut, eingerichtet, über die wir uns hier auch gerade unterhalten. Das ist, glaube ich, dann schon doch die höhere Schule der Computerkunst. Ja, wie kommt es dazu oder was machst du da so konkret?

Das ist schon richtig, also, was heißt höhere Schule? Ein Entwickler würde sagen, das ist mein tägliches Handwerkszeug, aber es ist schon wahr, da musste man sich schon ein bisschen einarbeiten. Also da geht es darüber hinaus, dass man jetzt am heimischen PC einfach irgendwie eine E-Mail schreibt, sondern da muss man dann solche Sachen tun, sich in einen Server einwählen, der auch nicht unter Windows läuft, sondern unter Linux, und dann diesen Server auch administrieren. Da musste ich mich natürlich ein bisschen einarbeiten, da habe ich dann im Vorfeld ein bisschen was gelesen und mich natürlich auch im Internet kundig gemacht.

Ich habe natürlich jetzt bei  „Blinzeln“ auch erfahrene Kollegen, mit denen ich mich im Vorfeld besprochen habe. Das ist zumindest meine Erfahrung, man muss dann einfach damit anfangen. Also ich meine, es kann ja nichts Schlimmeres passieren, als dass es nicht funktioniert. Das ist ja das Größte oder das Schlimmste, was passieren kann, mehr kann ja nicht passieren, und ich hatte dann glücklicherweise einfach den Mut und habe gesagt, so, ich probiere es jetzt einfach mal. Ich setze mich jetzt hin, lese die Anleitung, Anleitung lesen kann ich, glaube ich ganz gut, und versuche das, was dort steht, möglichst zu verstehen. Ja und es hat ja offensichtlich geklappt. Das System läuft jetzt hier ganz stabil und ich denke, es ist eine gute Qualität, die wir da aufnehmen.

Warum hast du dich gerade eben auch mit dem Videokonferenzsystem Big Blue Button beschäftigt?

Wir haben bei „Blinzeln“ ein Online-Veranstaltungszentrum. Das haben wir zu Beginn der Pandemie mal ins Leben gerufen, weil wir gesagt haben, jetzt können die Leute nicht raus, und es wäre doch schön, wenn die Leute - und davon sind wir Blinden und Sehbehinderten ja ganz besonders betroffen - eben auch unter den damaligen Einschränkungen dann miteinander kommunizieren könnten. Das hat dann auch sehr gut funktioniert und das „Blinzeln“ OVZ hat auch die Pandemie glücklicherweise überdauert. Wir hatten allerdings damals ein System, was wir seinerzeit genommen hatten, was bestimmte technische Schwächen, nenn ich mal, aufweist oder sagen wir’s mal positiver, bestimmte Dinge, die wir eigentlich haben wollten, nicht kannten, und das wussten wir auch. Aber es gab zumindest zum damaligen Zeitpunkt keine barrierefreie Alternative. Wir wollten zum einen natürlich eine barrierefreie Möglichkeit, das ist selbstverständlich, aber zum anderen auch eine Möglichkeit, die möglichst datenschutzkonform ist. Natürlich kann man das jetzt interpretieren wie man möchte, aber ich zumindest habe ein besseres Gefühl und finde es auch den Nutzern gegenüber fairer, wenn man den Leuten sagen kann, eure Daten bleiben hier in Deutschland. Eure Daten gehen nicht um die halbe Welt, und es wird auch nichts auf dem Server abgespeichert. Es ist zu jedem Zeitpunkt eurer Verbindung zu uns transparent, was mit den Daten geschieht, nämlich nichts, was euch in irgendeiner Form oder eure Privatsphäre in irgendeiner Form verletzen könnte. Das hatte Team Talk, so hieß dieses System natürlich erfüllt, aber es gab trotzdem bestimmte andere Dinge, die Team Talk nicht konnte und auch nach heutigem Stand noch nicht kann. Ich, aber nicht nur ich, sondern auch die Kollegen fanden es deshalb nötig, sich mal nach  etwas Anderem umzusehen. Stichwort Telefonzugang; es gibt Blinde und Sehbehinderte, die sich mit Technik entsprechend schwer tun, vielleicht auch ein bisschen Berührungsängste haben, die auch heute gerne noch per Telefon in so eine Konferenz gehen, an einer Veranstaltung teilnehmen. Diese Möglichkeit bietet Team Talk zum Beispiel nicht. Die Möglichkeit bietet aber Big Blue Button. Big Blue Button ist darüber hinaus, weil es ja im Prinzip für einen Nutzer aussieht wie eine Internetseite, sehr barrierefrei. Und wir fangen jetzt gerade an, diesen Big Blue Button-Server zu etablieren. Ich habe diesen in den letzten zwei Monaten aufgesetzt und glaube, dass das „Blinzeln“ O4Z und auch „Blinzeln“ damit einen Schritt nach vorne kommt, weil eben jetzt ganz niederschwellig alle Leute an einer Veranstaltung teilnehmen können.

Bei Team Talk, ich werde jetzt ein bisschen technisch: Um es zu verstehen, ist es ja so, man muss ein Programm installieren, und man muss dieses Programm auch, wenn man es installiert hat, noch einrichten. Also es sind diverse Schritte nötig, bis man Team Talk wirklich mal so weit hat, dass man an einer Veranstaltung teilnehmen kann. Bei Big Blue Button muss man einfach nur auf einen Link klicken, seinen Namen eingeben, seine Mikrofone frei geben und ist drin. Das war es, mehr nicht. Was vielleicht noch ein bisschen tricky sein könnte ist, dass man die Schalter natürlich finden muss, und natürlich fragt der Browser auch ab, ob denn der Zugriff aufs Mikrofon wirklich erlaubt sein darf. Das ist eine Sicherheitsvorkehrung, die jeder Browser hat. Aber wenn man diese drei Klicks, so nenne ich es mal, überwunden hat, ist man in der Veranstaltung drin und muss auch nichts weiter tun. Das war für uns der Grund, dann zu sagen, wir versuchen jetzt wirklich mal, uns mit einem System, was hoffentlich für ganz, ganz viele Nutzer barrierefrei ist und auf die Art und Weise dann eben noch viel mehr Leute auch die Möglichkeit haben, teilzuhaben. Es gibt ganz viele unterschiedliche Veranstaltungen im „Blinzeln-OFORZ-Set“ von Technik über Autorenlesungen. Ich glaube, darin steckt für alle Blinden und Sehbehinderten ein  großes Potenzial, sowohl für die, welche einfach Spaß an so was haben, die sich gerne mal abends eine Veranstaltung anhören, sich bilden möchten oder einfach austauschen wollen. Aber auch für diejenigen - und die gibt es auch -  welche aufgrund von mangelnder Selbstständigkeit, die vielfältig begründet sein kann, nicht die Möglichkeit haben, zu reisen, die eben dann zu Hause sind, und solche Leute gibt es. Und die, finde ich, müssen einfach die Möglichkeit haben, auf die Art und Weise auch mit der Welt verbunden zu sein, und das auf leichte, niederschwellige Art und Weise.

Das hört sich sehr interessant an. Es gibt ja eine ganze Reihe von sogenannten Videokonferenzsystemen. Du hast wichtige Aspekte angesprochen, warum ihr auf dieses System Big Blue Button setzt. Häufig wird man konfrontiert mit einem kommerziellen System, wie zum Beispiel Zoom oder Microsoft Teams. Was würdest du sagen, warum ihr nicht auf diese kommerziellen und auch relativ häufig genutzten Systeme zurückgreift?

Wir haben bei „Blindzeln“ ein bestimmtes Modell, aufgrund dessen unsere Veranstaltungen stattfinden, bzw. Leute auch selber Veranstaltungen durchführen können. Da kommen zum Beispiel solche Sachen mit hinein, dass im „Blinzeln“OVZ ja auch Leute selber eigene Räume haben können gegen ein kleines Entgelt, um selber eigene Veranstaltungen nutzen zu können. Und wenn wir jetzt kommerzielle Anbieter nutzen würden, gäbe es da auch gleich lizenzrechtliche Fragen, die geklärt werden müssten. Das ist die eine Sache. Also ich bin mir zum Beispiel gar nicht sicher - ich weiß es schlicht nicht - ob wir so ohne Weiteres einen Zoom Account kaufen könnten und diesen Zoom Accounts sozusagen untervermieten könnten. Ich bin mir relativ sicher, dass wir das nicht dürften, dass es da lizenzrechtliche Probleme geben würde.

Und das ist der eine Grund, weshalb wir eine freie und offene Lösung nutzen. Da dürfen wir das. Da können wir unseren eigenen Server aufsetzen und damit tun, was wir wollen, solange wir uns an geltendes Recht halten. Und ja, zum anderen eben die Datenschutzkomponente.
Ich finde es wichtig und einfach auch fair den Leuten gegenüber, dass man sagen kann -  natürlich müssen die Leute uns vertrauen - die Daten bleiben auf unserem Server und gehen da auch nicht runter. Der Server ist ausschließlich in unserer Hand. Ich meine, es gibt Leute, die sind grundsätzlich misstrauisch, was digitale Technik betrifft und sagen, naja, es geht ja alles ins Internet. Und davon mal abgesehen, es ist gerade in Big Blue Button ja so, man muss gar keine persönlichen Daten eingeben. Man gibt seinen Namen ein, wenn man in eine Big Blue Button Konferenz geht, was ja irgendwo auch ein Gebot der Höflichkeit ist, wenn man mit mehreren Leuten in die Konferenz geht. Wenn dann nur Punkt, Punkt, Punkt, stünde, wäre das einfach nicht sehr höflich den anderen gegenüber, die ja vielleicht auch wissen möchten, wer da mit in der Konferenz ist. Und mehr braucht man nicht. Es wird keine E-Mail-Adresse abgefragt, es werden keine Nutzerstatistiken erhoben oder sonst irgendetwas, beziehungsweise im Laufe der Konferenz werden schon Nutzerstatistiken erhoben. Da kann ich als Konferenzleiter natürlich sehen, wer da drin ist, aber auch nur wer da drin ist, also die Teilnehmer. Ich sehe nicht so ohne Weiteres, woher die Leute kommen. Also ich sehe nur die Namen und vielleicht deren Internet-Stabilität. Und wenn die Konferenz beendet ist, vergisst der Big Blue Button Server, dass eine Konferenz stattgefunden hat. Das ist ja auch das Schöne an Big Blue Button.

Big Blue Button, sage ich mal ganz platt, ist eigentlich dumm. Big Blue Button kann nur in Anführungsstrichen Konferenzen anbieten. Die ganze Verwaltung der Konferenzen passiert in einer vorgeschalteten Software und für den Big Blue Button Server ist die Konferenz weg und vergessen, sobald die Konferenz beendet ist.

Das waren einige Einblicke in die Technik. Wir nehmen mit: Ein hohes Maß an Schutz, an Sicherheit der Daten ihrer Teilnehmer, dass diese nicht weitergegeben werden und für Dinge weiter benutzt werden, die über solch eine Zusammenkunft, solch einen Austausch in einer Videokonferenz hinausgehen würden.

Michael Kuhlmann ist es, der uns hier so viel mitgeteilt hat von seiner Arbeit als Organist, von seinem Hobby und seinem Engagement für technische Dinge bei „Blinzeln“. Und da ist es nur recht und billig, dass du uns vielleicht noch einmal erklärst, wie man zu „Blinzeln“ kommt. Ich denke, die meisten Blinden in Deutschland wissen das, aber trotzdem wäre es vielleicht noch mal ganz gut, das noch mal zu sagen.

Da gibt es diverse Möglichkeiten. Also natürlich kann man ganz klassisch auf die Internetseite „blinzeln“.org gehen und kann sich da umschauen. Da bekommt man einen guten Einblick, was „Blinzeln“ ist, was „Blinzeln“ macht und wie man sich selbst beteiligen kann.
Stichwort Mailing-Listen, WhatsApp-Gruppen, um noch mal ein paar Sachen zu nennen, die man eben auch machen kann, um sich erst mal sozusagen gegenseitig zu beschnuppern. Dann kann man sich im Moment nur auf dem iPhone die „Blinzeln“-App herunterladen und da stehen auch ganz viele Sachen drin. Also viele Selbsthilfegruppen aus dem Blindenwesen haben da ihre „Kachel“, so nennen wir das. Das heißt sozusagen ihren eigenen kleinen Bereich, wo sie sich vorstellen können und wo sie eben sagen können, wer sie sind und so und was sie machen. Und da gibt es dann eben auch eine Kategorie Veranstaltungen, wo man dann eben nachschauen kann, was tagesaktuell für Veranstaltungen im Online-Veranstaltungszentrum geplant sind. Das Gleiche kann man auch auf einer Subdomain tun, also auf ovz für online-veranstaltungszentrum.blinzeln.org und hat da dann noch mal einen größeren Veranstaltungskalender so ein paar Monate im Voraus, kann dann gucken, was dort angeboten wird. Ja und viele Nutzer aus der Community sind ja auch in Mailing-Listen. Viele Mailing-Listen im deutschen Blindenwesen sind von „Blinzeln“ oder werden von „Blinzeln“ gehostet. Und es gibt bei „Blinzeln“ mehrere Podcasts, also namentlich zu erwähnen, der „Irgendwasser“ oder der „Poet-Podcast“. Da geht es dann, wie der Name schon sagt, unter anderem auch im „Irgendwasser“-Podcast eher um persönliche Dinge. Da ist zum Beispiel  gerade von dem „Blinzeln“-Initiator-Accord ein sehr interessanter Bericht über Mobilitätstraining drin. Also es gibt diverse Möglichkeiten, mit „Blinzeln“ in Kontakt zu kommen und ja, „Blinzeln“ auch kennen zu lernen, und ich kann einfach nur dazu ermutigen. Schaut rein, guckt ins Internet, meldet euch in einer unserer WhatsApp-Gruppen an oder schreibt, wenn ihr irgendwas wissen möchtet, einfach an infoatblinzeln.org.

Vielen Dank, und wer das noch mal genauer oder schriftlich haben will, kann sich natürlich auch an uns wenden. Wir können das gerne auch weitergeben bzw. werden das auf der Webseite, über die dann der Podcast oder das Video unseres Gesprächs abrufbar ist, noch mal mit nennen.


Michael, ich danke dir ganz herzlich für dieses ausführliche und intensive Gespräch. Wünsche dir weiter viel Erfolg auch für dein Studium zum
Tontechniker, und vielleicht hören wir uns ja mal wieder über eines dieser Themen, die du so bearbeitest.

Ja, ich danke dir. Hat mir großen Spaß gemacht und ich bin gespannt.

Das Transkript wurde mit einer lokalen OpenWhsiper Installation erstellt und manuell korrigiert.


Veröffentlicht am 04.04.2024 von Sorge, Jörg