Inklusion in kirchlichen Einrichtungen und darüber hinaus
Bild, c. privat: Christa Czech im Portrait
In diesem Gespräch lässt uns Christa Czech an ihren Jahrzehntelangen Erfahrungen in Sachen Akzeptanz und Inklusion von sehbehinderten Menschen im kirchlichen Berufsleben teilhaben. Es gab und gibt positive Erlebnisse. Aber sie musste auch immer wieder Problematisches erleben. Wie ist es heute? Werden sehbehinderte und blinde Menschen als gleichberechtigte Mitarbeiter angesehen?
Transscript des Gespräches:
KOM-IN_Netzwerk, Nachrichten, kurz Kina.
In der Telefonleitung ist heute Christa Czech und es geht ein ganz herzlicher Gruß nach Leipzig.
Danke.
Wir wollen heute sprechen über Teilhabe, Inklusion in Bezug auf Kirchen und kirchliche Einrichtungen hauptsächlich.
Aber bevor wir zu diesem Thema kommen, möchte ich Sie bitten, etwas zu Ihrer Person zu sagen.
Mein Name ist schon gefallen. Ich bin Christa Czech aus Leipzig.
Ich bin dort geboren und aufgewachsen, auch in der Kirchgemeinde, in der ich damals gewohnt habe.
Ja, und ich bin von Kindheit an schwer sehbehindert, hochgradig und habe beruflich in der kirchlichen Verwaltung gearbeitet und bin jetzt schon seit 2005 Rentnerin.
Sie haben ja, wie wir das im Vorgespräch schon thematisiert hatten, 43 Jahre in kirchlichen Verwaltungen gearbeitet. Da sammelt sich bestimmt eine ganze Menge an Erfahrungen an.
Was ist Ihnen denn aus dieser Zeit so ein prägendem Erlebnis in Erinnerung?
Zunächst mal hatte ich einen sehr netten Amtsleiter in meiner ersten Stelle,
welcher mir den Weg ins Berufsleben tatsächlich geebnet hat.
Er kannte mich schon vorher durch die Kirchgemeinde und insofern war ich da schon sozusagen halb aufgenommen in diesem Dienst. Und es gab natürlich mehr als in meiner Kindheit und Jugend, dann im Endeffekt viele Vorurteile, die ich in den 43 Jahren erleben musste. Wobei ich sagen muss, dass es immer einzelne Menschen oder Gruppen waren, die einfach mir das nicht zugetraut haben oder meine Ausbildung zunächst behindern wollten, weil sie meinten, naja, das mit den Augen, das schafft sie sowieso nicht Und so weiter, das hat schon geprägt, das muss ich sagen, obwohl ich eben auch Gutes erlebt habe. Es muss immer beides auch hier erwähnt werden.
Das sind wir ja schon mitten beim Thema.
Sie haben im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit natürlich auch Weiterbildungen gemacht.
Zum Beispiel dann in den späten 90er Jahren kam die Computertechnik auf, die natürlich auch in den Pfarrämtern Einzug hielt. Sie haben dann eine Ausbildung oder eine Zusatzausbildung gemacht?
Ja, ich hatte da ja noch gar keine Ahnung davon und ich bin 1998 im Berufsförderungswerk Halle gewesen
und habe dort gelernt die Datenverarbeitung. Und im Pfarramt gab es natürlich dann spezifische Computerprogramme, welche also waren Meldewesen und auch Rechnungsführung, also Verbuchung von Kirchgeldzahlungen und so weiter.
Und da ist eine sehr freundliche Mitarbeiterin vom Bezirkskirchenamt, Leipzig, so hieß das damals, gekommen und hat diese Geschäfts-, also praktisch die Dinge, die notwendig waren für diese spezifischen Programme in den Computer eingespielt und mich wirklich sehr gut darin eingewiesen. Das muss ich ehrlich sagen, auch mit sehr viel Verständnis und Geduld, denn sie hat ja dann auch gesehen, dass ich eine Großschrift hatte und dass man da doch mehr oder weniger hin, also scrollen muss. Also sie hat gesagt, ja, also das ist ja gar nicht so einfach und so, aber sie hatte sehr viel Verständnis und auch, ich habe das auch dann schnell Intus gehabt und konnte damit gut arbeiten.
Und da war ja die Bedingung auch, dass ich bei der 8. Struktureform 1998, wo also Stellen in der Verwaltung schon massiv eingespart wurden, sozusagen nicht in die Wüste geschickt wurde.
Sie haben das schon angesprochen, also man hat ihnen da etwas zugetraut und das ist glaube ich auch so ein bisschen ein Kritikpunkt, den sie aber nach wie vor haben, dass also Menschen mit zum Beispiel Seheinschränkungen im Berufsleben oder aber auch in anderen Kontexten zum Beispiel in dem Gemeindeleben, tatsächlich behindert werden, weil man ihnen nicht zutraut, bestimmte Dinge zu tun erleben zu können und so weiter.
Können Sie das vielleicht noch ein klein bisschen erklären oder von Erlebnissen berichten?
Ja, also da müsste ich Ihnen vielleicht ein Beispiel nennen.
Und zwar, es ging darum, das ging schon in meiner Ausbildung los.
Der damalige Kircheninspektor, der hat mich zunächst nur aktiv bekleben lassen und solche ganz einfachen Dinge und eigentlich hatte ich den Eindruck und das fühlt man ja. Also der traut dir hier nicht über den Weg.
Und ich habe mich praktisch an jeder Arbeit erst dran beißen müssen. Das heißt, damit will ich sagen, ich habe mich immer erst beweisen müssen.
Zum Beispiel Kirchgeldquittungen ausstellen wurde mir gesagt, das ist so klein, das fällt uns schon manchmal schwer, das lassen Sie mal lieber bleiben. Eines Tages kam Publikum ins Pfarramt, keine anderen Mitarbeiterin war zugegen und ich habe mich an diesen Kirchgeldblock angewagt, habe mir am Aktendeckel alles angeschaut. Da war ein Muster zu sehen, wie das gemacht werden muss, was reinkommt auf die Quittung und so weiter. Und dann habe ich die Kirchgeldquittung einfach ausgestellt, ohne den Chef zu fragen.
Und ich habe zu der Frau, die da gerade als Publikum da war, gesagt, bitte haben Sie einen kleinen Moment Geduld, ich mache das das erste Mal, ich will fragen, ob ich es richtig gemacht habe.
Und da bin ich mit der Quittung, bin ich zu meinem Chef ins Zimmer und habe ihn gefragt, ob das so in Ordnung wäre. Es wäre jetzt niemand da gewesen und ich hätte die Frau nicht warten lassen wollen.
Und da hat er sich es angeguckt und hat gesagt, ja, das ist richtig. Wir ändern nur den Familiennamen vor dem Rufnamen, aber das können Sie jetzt stehen lassen. Ja, dann können Sie es ja immer machen.
So ging mir das.
Und wenn ich noch mal nachfragen darf, in welchem Jahr oder in welchem Zeitraum war das?
Das ist gewesen, ich habe 1962 meine Ausbildung begonnen im Kirchlichen Verwaltungsdienst.
Und in der Zeit ist das dann auch gewesen, denn das war ja flankiert von täglicher praktischer Arbeit im Pfarramt.
Das ist ja wirklich ziemlich bedenklich, weil ich erst kürzlich in einem sogenannten sozialen Netzwerk,
also in dem sich Menschen über digitale Hilfsmittel austauschen, über ihr Leben eigentlich ganz genau so ein Beispiel gehört habe, aber nicht aus den 60er Jahren, sondern aus den vergangenen Monaten.
Ein blinder, junger Mann ist in einer Ausbildung in Köln und berichtet genau das selbe.
Also so viele Jahre später gibt es immer noch dieselben Vorbehalte, gibt es immer noch die Situation,
dass Menschen mit Behinderungen, mit Seeeinschränkungen einfach nicht zugetraut wird, sich diese Bereiche zu erobern. Und sie gezwungen sind es sich sozusagen Arbeitsbereiche auch sozusagen an Land zu ziehen, um unter Beweis stellen zu können, dass sie es können.
Aber das ist ja eigentlich eine ziemlich fragwürdige Situation.
Was meinen Sie denn, warum hat sich über die lange Zeit da in vielen Bereichen nichts geändert?
Vielleicht ist es ja auch nicht überall so.
Das sind die Barrieren in den Köpfen der Menschen.
Und welche Möglichkeiten hätten wir denn, diese Barrieren abzubauen? Was meinen Sie?
Ich denke, das ist wohl das Schwierigste. Das ist auch die schwierigste Frage, die Sie stellen.
Es geht nur dadurch, dass man Gelegenheit bekommt, sich zu beweisen.
Und das ist natürlich eine schlimme, auch psychische Situation, weil ich auch die ganzen 43 Jahre,
und das geht dann sicher auch anderen so, immer das Gefühl hatte, na ja, irgendwie leistest du nicht das, was eben Sehende leisten. Und man hat irgendwie unterschwellig immer ein schlechtes Gewissen.
Das ist eine schwere Sache, die sicherlich häufig nur Menschen nachfühlen können, die in ähnlicher Situation sind. Wie gehen Sie denn damit um? Wie versuchen Sie das zu bewältigen?
Naja, ich habe mir nicht groß getraut zu intervenieren. Das muss ich ehrlich sagen, in der Hinsicht war ich schwach. Ich hätte mich manchmal gegen manche Mitarbeiter, die wirklich hässlich waren.
Und ich sagte ja schon in dem Vorgespräch, wenn ich meinen Glauben, meinen christlichen Glauben an Menschen festgemacht hätte, und mit solchen Beispielen, dann wäre ich heute kein Kirchenmitglied mehr.
Und wie sehen Sie allgemein die Situation in der Kirche in Bezug auf Inklusion, auf Teilhabe, hat sich da irgendetwas bewegt in den letzten Jahren?
Also ich kann das nur von mir sagen und von den beiden, von denen ich weiß, die gut aufgenommen sind.
Der eine Mann in mittleren Jahren singt im Kirchenchor mit. Das ist ja immerhin ein Teil der Inklusion und er ist ja voll blind. Ich konnte ja in den ganzen 50 Jahren, die ich im Chor gesungen habe, auch immer noch nach Noten singen.
Aber unter anderem in Marburg, dieses Ehepaar, dieses Blinde, die also auch gut in der Gemeinde aufgenommen sind.
Also ich würde sagen, ich kann jetzt nicht nur von mir aus gehen.
Ich denke, dass es wirklich verschieden sein wird.
Aber bei mir war es eben dann so, dass ich auch nach dem Dienst ehrenamtlich gerne noch was machen wollte. Ich habe ja sowieso auch innerhalb meines Dienstes viel ehrenamtlich gearbeitet. Und ich habe das, was nicht so schnell geht, weil man ja mehr hinschauen muss und intensiver hinschauen muss, als jemand, der richtig sieht. Das habe ich dann einfach an Freizeit zugesetzt. Und das hat mir Spaß gemacht.
Und wir haben schon einmal gesprochen über die ganze Problematik.
Und Sie haben auch so ein Tipp und auch so Dinge, die Sie tatsächlich anregen und machen würden.
Können Sie das noch einmal erklären?
Also meine Idee ist gewesen, weil es so ist, dass viele gar nicht wissen, viele Gemeinden gar nicht wissen,
wer ist in der Gemeinde Seebehindert oder gar blind. Denn diese Menschen sind auch meistens zurückhaltend und melden sich nicht. Und da war ich auf die Idee gekommen, man könnte ja mal im Gemeindeblatt einen Artikel aufsetzen und auf die Problematik aufmerksam machen. Dass man sagt, bitte melden Sie sich doch mal, wenn Sie da Hilfe brauchen. Denn es ist ja so, diese Menschen finden oft nicht alleine in die Kirche den Weg.
Es hängt also vom guten Willen von Gemeindegliedern ab, dass sie diese Menschen auch zu Hause abholen und wieder nach Hause bringen. Und da finden sich manchmal Menschen durchaus. Und andererseits auch wieder ist es mehr von Zufällen abhängig.
Ich weiß, dass von meiner Freundin aus Zwickau, die sich zur Gemeinde auch hält, die auch sehbehindert ist, auch nicht ganz blind, aber die dann manchmal sagen muss, ja, wie komme ich denn nun nach Hause? Und die hat es ziemlich weit von der Kirche. Und vor allen Dingen dann im Dunkeln hat sie Probleme. Und manchmal ist jemand da und fragt, wie kommen Sie nach Hause? Und fährt sie dann nach Hause und dann ob er wieder kümmert sich keiner und sie muss irgendwie sehen, wie sie nach Hause kommt. Das ist ambivalent, das muss man dazu sagen.
Frau Czech aus Leipzig, Sie haben also ganze Menge an Erfahrungen gesammelt aufgrund ihrer starken Seebehinderung. Und es geht Ihnen nicht alleine so. Und das, was Sie schon in den 60er Jahren an positiven, aber wie auch an negativen Dingen erlebt haben, erleben blinde und sehbehinderte Menschen heute immer noch.
Das ist eine schwierige Situation. Und gerade auch in Bezug auf Kirchen und Gemeinden sollte man doch meinen, dass da mehr Verständnis und mehr Engagement vielleicht auch da wäre.
Da könnte ich Ihnen aus meiner Anfangsdienstzeit sagen, wir hatten eine Gemeindehelferin, die mich auch von Kindheit an begleitet hat. Also wie gesagt, ich möchte dazu wirklich noch kurz erwähnen, dass ich in meiner Kindheit und Jugend in der Gemeinde sehr gut in der Kirche war und auch Ehrenämter begleitet hab, als Kindergottesdiensthelferin, als jemand, der Gemeindeblätter austrägt und so weiter. Das ging alles gut. Und diese Gemeindeheleferin, die hat zu mir gleich gesagt, als sie wusste, dass ich in den kirchlichen Dienst eintrete. Also Christl, denke nicht, dass in der Kirche alles gut ist. Es menschelt sehr in der Kirche.
Und lass dich nicht rumschieben in der Kirche. Mädel, du hast Gaben. Das waren ihre Wörter. Die muss also doch ganz genau schon die Sache allgemein gekannt haben. Also keine gute Atmosphäre herrschte damals schon. Und auf der anderen Seite aber auch auf mich bezogen. Weil ich ja weiß, wie ihr von meinem Sehbehindertsein wusste.
Vielen Dank Frau Czech für diesen Einblick in ihr Leben, in ihre Erfahrungen.
Und die Hörzeitschrift, in der dieses Gespräch erscheinen wird.
Und auch der Podcast, die wird herausgegeben ja im KOM-IN-Netzwerk.
Abgeleitet von Kommunikation und Information.
Und ich denke, wir bleiben immer wieder bei diesen beiden Dingen hängen.
Wir müssen immer und immer wieder informieren, was es mit der Situation von blinden und sehbehinderten Menschen auf sich hat.
Und es muss eine Kommunikation stattfinden.
Und ich möchte einfach die Hoffnung nicht aufgeben, dass es doch zumindest punktuell an manchen Stellen Möglichkeiten gibt, blinde und sehbehinderte Menschen so zu behandeln, dass sie ganz normal und ohne solch ein schlechtes Gewissen zu haben, sie müssen, wie sie das geschildert haben, in unserer Gesellschaft und auch in unseren Kirchen sich bewegen und beteiligen und einbringen, oder eben auch einfach nur mal Hilfe erhalten können.
Ganz vielen Dank für das Gespräch und für ihre Offenheit.
Sehr gerne. Bitte schön.
allen hören einen lieben Gruß.
Veröffentlicht am 01.11.2023 von Sorge, Jörg